Was Frauen wollen
Ich mag Märchen, weil sie unsere Welt größer machen. Sie verbinden Realität und Phantasie. Unmögliches wird möglich. Und so lassen sie uns manchmal tiefere Erkenntnisse gewinnen, als es die nüchterne Betrachtung im Alltag zulässt. Zum Beispiel wenn es darum geht, was wir Frauen wirklich wollen.
Anita Johnston ist Psychologin und hat sich auf Essstörungen bei Frauen spezialisiert. Das war auch der Grund, weshalb ich ihre Bücher entdeckte, denn viele Jahre waren Essstörungen ein Thema in unserer Familie. In ihrem Buch „Die Frau, die im Mondlicht aß“ zeigt sie anhand eines Märchens einen Weg, wie wir Frauen lernen können, für uns selbst einzustehen:
Die Wahrheit sagen
Es war einmal ein junger Ritter, der das furchtbarste Verbrechen begangen hatte, das man gegen eine Frau verüben kann. Man brachte ihn zum König, der als oberster Richter urteilen sollte. „Das Verbrechen ist so abscheulich“, sagte der König, „dass ich es für gerechter halte, wenn die Frau, die du verletzt hast, selbst das Urteil spricht.“
Die Frau gab ihm ein Rätsel auf: Er sollte innerhalb eines Jahres herausfinden, was sich eine Frau am meisten wünscht. Der Ritter schien glücklich, so glimpflich davongekommen zu sein, und rannte los, um eine Frau nach der anderen zu befragen. Junge Frauen wünschten sich einen Liebsten, Frauen mit Kindern Frieden, ältere Frauen Gesundheit. Er schrieb alle Antworten auf. Doch der Lösung kam er nicht näher.
Am Ende des Jahres saß er verzweifelt am Straßenrand und wusste nicht ein noch aus. Da kam eine Frau des Weges, so hässlich, wie er noch nie einen Menschen gesehen hatte. Sie fragte ihn, ob sie ihm wohl helfen könne? Er schilderte ihr sein Problem. „Des Rätsels Lösung kann ich dir wohl sagen, aber sie hat einen hohen Preis. Du musst mich heiraten“, antwortete sie. Dem Ritter lief der kalte Schauer über den Rücken. Aber hatte er eine Wahl? „Was soll‘s, ohne die Antwort bin ich morgen ein toter Mann“, dachte er sich. „Lieber teile ich mein Leben mit diesem hässlichen Wesen, als dass ich es ganz verliere.“ Und so stimmte er zu.
„Was eine Frau sich am allermeisten wünscht, ist Souveränität, das Recht, sich einen ganz eigenen Weg durchs Leben zu suchen“, sagte die Frau und der junge Mann strahlte. „Genau, das haben alle Antworten gemeinsam“, rief er und rannte zum König, um endlich seinem Todesurteil zu entgehen.
Der König und die Frau warteten bereits auf ihn und als er die Lösung des Rätsels freudig bekannt gab, blickte der König auf die Frau, diese nickte und der König sagte: „Du bist ein freier Mann“.
Der Ritter stürmte voll Lebensfreude los, nach kurzer Zeit aber fiel ihm ein, dass er nun den Rest seines Lebens mit diesem Ungeheuer zubringen musste. Aber er hielt Wort und heiratete die Frau.
Nach der Hochzeit nahmen sie sich ein Zimmer in einem Gasthaus und aßen zu Abend. Die Frau ging bald nach oben, der junge Mann trank sich noch Mut an und folgte ihr dann. Da lag sie im Bett: der Kopf zu groß für ihren Körper, die Augen zu groß für den Kopf, eine lange spitze Nase, dünne Lippen und hässliche Zähne. Das schmutzige Haar lag zerzaust auf dem Polster und die Haut sah aus, wie der Bauch eines toten Fisches. Zaghaft legte er sich auf seine Seite des Bettes.
„Komm, mein Mann!“, sagte sie und klopfte auf das Kissen neben sich. „Küss mich, es ist unsere Hochzeitsnacht.“ Er nahm allen Mut zusammen, presste die Lippen fest aufeinander, drückte die Augen zu und küsste sie auf die Wange. Wie erstaunt war er, dass er seidenweiche Haut spürte und als er die Augen öffnete, lag die schönste Frau, die er je in seinem Leben gesehen hatte, vor ihm.
„Wer bist du und was machst du hier?“, stammelte er. „Ich stand unter einem bösen Fluch und als du zustimmtest, mich zu heiraten, und mich nun geküsst hast, hast du den Bann gelöst und mich befreit. Jetzt musst du nur noch entscheiden: Willst du mich schön bei Tag und hässlich in der Nacht, oder umgekehrt?“
„Dann wünsch’ ich mir dich schön bei Tag und hässlich in der Nacht“. „Nun“, meinte sie, „ dann wirst Du jede Nacht bei der hässlichen Frau schlafen“. „Na, dann halt schön in der Nacht und hässlich bei Tag.“ „Das bedeutet, dass die Leute auf der Straße erschaudern, wenn sie uns sehen, und die Kinder uns Steine nachwerfen werden und uns verspotten“.
„Das ist auch nicht gut“, sagte der junge Mann und dachte über das neue Rätsel nach. „Ich glaube, Du solltest es entscheiden, denn du hast ja am meisten unter den Folgen zu leiden.“
„Ah“, sagte die schöne Frau. „Da hast du gerade den zweiten Teil des Fluchs gelöst. Denn, was eine Frau sich am meisten wünscht, ist Souveränität, das Recht sich ihren eigenen Weg durchs Leben zu suchen. Und da ich nun die Wahl habe, wähle ich, dass ich schön bin bei Tag – und schön in der Nacht“.
Selbstbewusst Ja sagen. Und Nein.
Ist das nicht eine wunderbare Geschichte? Und endlich einmal muss die Veränderung im Gegenüber passieren. Oder träum’ ich schon wieder?
In unserer Großfamilie – mit Eltern, meinem Mann und unseren vier Töchtern – hatte ich eine starke Position. Im bäuerlichen Bereich sagt man: Drei Ecken vom Haus hält die Frau. Das bedeutet nicht automatisch, dass sie selbstbewusst und souverän ist. Sie hat viel Verantwortung und viel Arbeit.
Meine Beobachtung und Erfahrung zeigt, dass Frauen in dieser Position ständig damit beschäftigt sind, die Generationen, ihre Ansprüche und Konflikte unter Kontrolle zu halten, für Harmonie zu sorgen. Oft wagen sie es nicht, die eigenen Ansprüche zu äußern. Vor allem dann, wenn – wie in unserem Fall – der Mann in die Familie einheiratet und einen ganz anderen Beruf hat.
Die Außensicht, die mein Mann in unser Haus mitbrachte, war für uns einerseits von großem Vorteil, weil mit ihm völlig neue Ansichten und Ideen in den Betrieb kamen.Er kannte keine Betriebsblindheit und so konnten wir ganz neue Wege gehen. Andererseits kann die Kernfamilie auch recht dominant und erdrückend sein. Und da knirscht es dann ordentlich im Gebälk…
Ich denke, Selbstbewusstsein ist ein wichtiges Instrument auf dem Weg zur Souveränität. Eine selbstbewusste Frau findet einen Weg, um auszudrücken, wer sie ist und was sie will. Sie lernt aktiv zu kommunizieren, ohne ihre Bedürfnisse zu vernachlässigen oder aggressiv und unsensibel auf die Bedürfnisse anderer zu reagieren.
Sie muss fähig sein, Entscheidungen zu treffen. Ja zu sagen, zu dem was sie will, und Nein, wenn sie es nicht möchte. Ohne diese Freiheit kann sie gegenüber anderen ziemlich unangenehm, „hässlich“ werden, mürrisch und vorwurfsvoll, weil sie das Gefühl hat, ausgenützt zu werden. Die Wut in ihr wächst und immer häufiger wehrt sie sich gegen das eigene Unbehagen mit Vorwürfen gegen jene, denen sie nach eigenem Dafürhalten mehr gibt als sie selbst zurückbekommt.
Wie Du Klartext sprichst, ohne anderen Vorwürfe zu machen
In der Hitze des Gefechts, im Konfliktfall fällt es schwer klare Gedanken zu fassen. Daher empfiehlt Anita Johnston das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation, mit dem es leichter gelingt, Souveränität zu erreichen. Auf diese Weise schickst du deinem Gegenüber Ich-Botschaften statt Schuldzuweisungen und Vorhaltungen.
Eine einfache Formel für gewaltfreie Kommunikation lautet:
- Wenn du so mit mir sprichst/mir nicht zuhörst/ dich so verhältst/…
- fühle/bin ich wütend/traurig/verletzt/…
- weil ich den Eindruck habe, du nimmst mich nicht ernst/du setzt mich herab/du glaubst, besser zu wissen, was für mich gut ist…
Das hört sich dann beispielsweise so an:
-
- Wenn du mitten im Gespräch fortgehst,
- fühle ich mich gekränkt,
- weil ich das Gefühl habe, dir ist nicht wichtig, was mich beschäftigt.
Mein Tipp: Notiere dir die drei Punkte auf einem kleinen Kärtchen. So hast du sie griffbereit, wenn die Emotionen Klarheit brauchen.
Und noch eine Erkenntnis, die ich im Laufe der Jahre gewonnen habe, will ich dir mit auf den Weg geben: Konflikt ist konstruktiv, wenn du ihm den Beigeschmack der Katastrophe nimmst.
Ich denke, eine selbstbewusste Frau ehrt ihr weibliches Sein, steht zu ihrer Macht, ihrer tiefsten Wahrheit und ihren stärksten Gefühlen. Und sie setzt ihre männlichen Energien so ein, dass sie die Kräfte in die Welt hinaus tragen. Sie demonstriert, wie machtvoll sie neben einem anderen stehen kann, ohne dessen Macht zu schmälern. (Dazu in Kürze noch mehr.)
Eine selbstbewusste Frau beansprucht ihre Souveränität, ihr Recht, sich den Weg durchs Leben selbst zu wählen. So kann sie sich – wie im Märchen – frei entscheiden, sich selbst schön zu finden. Tagsüber wie nachts.
Begegne deinen eigenen Gefühlen und Gedanken mit Respekt. Nur so kannst du auch die Gefühle und Gedanken anderer mit Respekt behandeln und in Beziehung zu ihnen gehen.
Herzlichst
Sissy
LITERATUR
Anita A. Johnston
– Die Frau, die im Mondlicht aß. Ess-Störungen überwinden durch die Weisheit uralter Märchen und Mythen