Du musst nicht von allen gemocht werden
Springt dich dieser Titel an? Das klingt nach totaler Freiheit. Beim genauen Hinschauen scheint es eine unlösbare Aufgabe. Zielt nicht das ganze Frauenleben darauf aus, gemocht zu werden?
Dem Buch von Ichiro Kashima und Fumitake Koga liegt die Psychologie von Alfred Adler zugrunde, der, sehr vereinfacht, die These vertritt, dass die Vergangenheit keine Rolle spielt, wer wir in der Gegenwart sind. Ganz im Gegensatz zu Siegmund Freud: Die Vergangenheit bestimmt die Gegenwart. Freud leugnet die Freiheit des Menschen.
Die Unterscheidung zwischen Freud und Adler ist für meinen Blog deshalb von Bedeutung, da Freud gerade im Bereich der Geschlechter großen Irrtümern unterlegen ist, wie Julia Onken (Psychologin und Psychotherapeutin) in ihrem Buch „Herrin im eigenen Haus“ eindrucksvoll schildert. „Er entwickelte eine Theorie, die vom männlichen Wesen als Maß aller Dinge ausging. Er berücksichtigte die geschlechtsspezifische Situation der Frau in keiner Weise. Typisch weibliche Verschiedenheiten wurden als untypisch für das menschliche Wesen gedeutet und pathologisiert.“ So schreibt Julia Onken.
Also das, was die Frau von Mann im Wesen unterscheidet, ist krankhaft. Eine solche These von einem weltweit anerkannten Wissenschaftler wirkt nach, zumal Freud zur Wende des vorigen Jahrhunderts gelebt hat
Der kollektive Schmerz von Frauen
Nun schreibe ich meinen Blog seit genau einem Jahr und habe mich immer tiefer in die Frauengeschichte eingegraben. Es ist viel Mut vonnöten, hinzuschauen, welche Schmerzen uns mehrere tausend Jahre des Patriarchats zugefügt haben und wie sehr sie immer noch in unsere Zeit wirken.
Alfred Adlers Psychologie ist vom Hier und Jetzt in die Zukunft gerichtet. Er behauptet, es fehlt uns nicht an den Anlagen, an den Fähigkeiten, glücklich zu sein, es fehlt uns am Mut.
Ganz schön provokant. Hat frau sich’s grad so gut eingerichtet, in der eigenen Geschichte, die Schuldigen sind gefunden. Ein Leben lang kann frau sich daran abarbeiten: wenn ich doch andere Eltern gehabt hätte, wenn der Partner, wenn die Kirche, die Schule……..Die Liste ist endlos.
Es ist viel Mut vonnöten,
hinzuschauen,
welche Schmerzen uns
mehrere tausend Jahre
des Patriarchats
zugefügt haben
und wie sehr sie
immer noch
in unsere Zeit wirken.
– Sissy Sonnleitner
Wie verändert frau dieses Denkmodell?
Gehen wir einmal ein paar Schritte in diese Zumutung hinein. Zuerst braucht es die Entscheidung.
Und es ist klar, wenn ich nicht immer nach Anerkennung giere, wenn nicht bereits der Gedanke, nicht gemocht zu werden, schon Panik in mir auslöst, wäre das ein großes Stück Freiheit.
Diesem „Gemocht-werden-wollen“ liegt immer eine innere Ablehnung der eigenen Persönlichkeit zugrunde. Wobei wir, einmal mehr, bei der Selbstliebe wären.
Ich habe inzwischen eine noch besseren Weg zur Selbstliebe gefunden, nämlich „SELBSTFÜHRUNG“. Sich selbst wie eine liebender Elternteil zu führen und zu begleiten. Vielleicht diese Aspekte des „Elternseins“ zu leben, die man vermisst hat. Sich mit einer Liebe wie Honig und einer Liebe, wie dem Schwert, zu begleiten.
Den Honig fürs Verstehen, Annehmen, für Milde, Zärtlichkeit und Toleranz und das Schwert für die Disziplin, gegen die Destruktivität, die bösartige Aggression mir gegenüber. Das Schwert für die Ehrlichkeit sich selbst gegenüber: weil ich mich liebe, bin ich bereit, mich zu korrigieren.
Gerne halten wir Frauen an diesem „sich Nichtmögen“ fest, weil wir es dann leichter aushalten, von anderen Menschen nicht gemocht zu werden und abgelehnt zu werden. „Du musst mich nicht mögen, ich mag mich eh auch nicht“, steht dann, laut Robert Betz, unsichtbar auf unserer Stirn geschrieben.
Alle Probleme sind zwischenmenschliche Beziehungsprobleme
führt Alfred Adler weiter aus. Minderwertigkeitsgefühle entstehen nur im zwischenmenschlichen Bereich. Und da sind wir nun an dem Punkt, an dem wir zugeben müssen, dass nicht nur Männer das Patriarchat befeuern, sondern Frauen da ganz schön mitmischen.
So schreibt Julia Onken in Feuerzeichen Frau:“ Redakteurinnen der Frauenzeitschriften sind die unerbittlichsten Männer. Sie diktieren gnadenlos die Tarife des Viehmarktes. Das Diktat :„jung um jeden Preis,“ wird in allen nur erdenklichen Varianten serviert. Seitenweise Abhandlungen über Body-Building, Aerobic, Abmagerungskuren und -institute. Nur wer jung, schlank, cellulitisfrei, mit samtener Haut, hübschem Näschen, perlweißen Zähnen, perfekt manikürt und pedikürt, straffem Busen, Bauch und Po ausgestattet ist, hat noch eine Chance, als Frau mitgezählt zu werden.
Sie geben vor, Zeitungen für Frauen zu machen. Genau gesehen sind sie gegen Frauen und ihre Handlungen sind kriminell.“
Ich kenne kaum eine Frau, die nicht nahezu ihr ganzes Leben lang in mindestens einem Lebensbereit von Minderwertigkeitskomplexen begleitet worden wäre.
Nach Veit Lindau, meinem spirituellen Lehrer, war genau das der raffinierte Trick des Patriarchats:
Damit Frauen in ihre Kraft kommen, müssen sie sich in Gruppen und Gemeinschaften zusammenschließen. So dienen sie ihrem Clan am besten. Indem ich Frauen in den Wettbewerb gegeneinander schicke, sprenge ich diesen Kreis, schwäche die Frauen und blase meine eigene Macht auf.
Raus aus dem Wettbewerb
Klar ist es ratsam und wichtig, sich um seinen Körper zu kümmern und ihn gut und altersgemäß in Schuss zu halten. Medien dieser Art schüren aber die Minderwertigkeitskomplexe von unzähligen Frauen. Und dann wird das Leben ein Wettbewerb. Und genau der steht der Psychologie von Adler diametral entgegen. Das ganze Leben zielt darauf ab, besser, schöner, erfolgreicher als irgendwer zu sein und ehe frau sich versieht, sind alle Frauen Feinde.
bildhübsche Mädchen
eingezwängt
in Rahmen
der Klischees
meine Konfektionsgröße
ist Einmaligkeit
nicht
formatierbar
für Illustrierte
Heidrun Bauer SDS
Unser Leben sollte kein Wettbewerb sein, mit dem Ziel, größer als andere zu sein. Hilfreich ist die Einsicht, dass wir uns alle auf dem selben Feld vorwärts bewegen. Nur die Laufgeschwindigkeiten und die zurückgelegten Strecken unterscheiden sich. Wenn ich mich ständig im Wettbewerb sehe, zählt nur der Sieg, um glücklich zu sein und, noch schlimmer: Das Glück eines „Mitläufers“ wird zu meiner Niederlage und ich kann mich nichteinmal ehrlich mit ihm freuen.
Unsere Aufgabe ist es, Menschen als Mitmenschen zu sehen. So beschreibt Alfred Adler den Ausstieg aus dem Wettbewerb.
Unabhängig sein und der Gesellschaft dienen
Nun, in der Pandemie schaut es für mich so aus, als müsste man statt Gesellschaft Menschheit schreiben. Gerade lernen wir sehr eindrucksvoll und schmerzhaft, dass wir alle in einem Boot sitzen.
Und da stellt sich jetzt die zentrale Frage: wer bin ich und wofür bin ich auf dieser Welt. Wie stelle ich mich meiner Lebensaufgabe in der Arbeit, in der Freundschaft, in der Liebe? Wie kann ich gut leben, ohne nicht immer darauf zu schielen, ob ich die Erwartungen meines Umfeldes erfülle?
Alfred Adler löst die Frage so: Wir sollten einerseits unser eigener Zufluchtsort sein, andrerseits sollten wir aber auch etwas finden, was wir mit unseren Mitmenschen teilen. Das Bewusstsein, seinen Zufluchtsort zu haben und mit anderen etwas zu teilen, wird Gemeinschaftsgefühl genannt.
Der Mut zum Glücklichsein beinhaltet, ohne die ersehnte Anerkennung auszukommen
Vor einer Falle sei gewarnt: wenn frau in die Unabhängigkeit kommen möchte, empfiehlt es sich, den Dienst an der Gemeinschaft nicht der Anerkennung wegen zu leisten. Wir wissen, wie frustrierend es ist, wenn Dank und Lob nicht im gewünschten Mass zurückkommen. Noch tragischer ist es natürlich, wenn dann auch noch Kritik kommt.
Diene der Gemeinschaft in Demut, dem Mut zu dienen, auf deine ganz persönliche Art und Weise, dann bis du frei. Und da haben wir in unseren Familien ja ein lebenslanges Übungsfeld, das frau dann, nach und nach, auf größere Gemeinschaften übertragen kann.
Eine jüdische Weisheit besagt: Bei 10 Menschen ist einer dabei, der dich kritisiert und den du auch nicht besonders gerne magst, zwei davon akzeptieren dich und du akzeptierst sie. Der Rest gehört weder zur einen noch zu anderen Gruppe. Warum konzentrierst du dich auf die eine Person?
Gelassen der Mensch
der mit ganzer Lebenskraft
sich bewegt und tanzt
und andere zum Tanz der
Lebensfreude und Solidarität bewegt
darin umarmt uns Gott
Pierre Stutz
Ich wünsch’ dir seelenstreichelnde Frühlingstage und eine liebevolle Selbstführung.
Herzlichst
Sissy
LINKS UND LITERATUR
Du musst nicht von allen gemocht werden – Ichiro Kashima und Fumitake Koga
Herrin im eigenen Haus – Julia Onken
Seelenspuren – Heidrun Bauer SDS
Meditationen zum Gelassenwerden – Pierre Stutz
So viele wunderbare, kraftvolle Gedanken(anstöße), die Du in diesen Blogbeitrag verpackt hast, liebe Sissy!
Ganz besonders mag ich Deine Idee, die Liebe zu sich selbst als SELBSTFÜHRUNG zu betrachten, sich wie ein liebender Elternteil um sein eigenes Seelenheil zu kümmern.
Um dann – in mir ruhend – auch für andere da zu sein.
Danke fürs Teilen Deiner bereichernden Reflexionen!
Danke, liebe Luise! Ich freu‘ mich, dass wir einander bereichern und kann allen,
die diesen Kommentar lesen, nur Deine Arbeit empfehlen http://www.luisemariasommer.at
So funktioniert Schwesternschaft – wir können alle voneinander lernen und dann
sind wir stark. Alles Liebe
Sissy