Mirjam – die Frau, die aus der Reihe tanzt
Sie eroberte mein Herz im Sturm, diese Frau. Ich habe ihr in unserem Pfarrblatt eine Kolumne reserviert: „Mirjams Gedanken“. Dafür hat mir Herta Hofer, eine akademische Malerin aus Mauthen, das wunderbare Bild gemalt: Lebensfreude, Eros, Tanz, Führung, Selbstbewusstsein und Stärke! Was für eine Frau!
Im vergangenen Sommer habe ich im Haus der Frauen in Herberstein ein Seminar besucht:“Die Clownin in mir“ mit Constanze Moritz. Ein wunderbares, lustiges und sehr forderndes Seminar.
Sich zu öffnen, einige der vielen Rollen, die wir im Laufe des Lebens einstudiert haben, für kurze Zeit zu verlassen….Das Schwerste aber: Die rote Clownnase aufzusetzen, neue Sprachen zu erfinden, Verrücktes und Peinliches zu tun. Manchmal wollte ich mich verkriechen, so sehr hat mich die Scham behindert, über meinen Schatten zu springen. Nach und nach lernten wir, lustvoll zu scheitern und aus der uns selbst, aber auch von der Gesellschaft auferlegten Reihe zu tanzen.
Lass mich teilhaben, an deinem Geist
Mein stets über mir wachender Schutzengel hat mir ein Zimmer zugewiesen, in dem ein Bild der Mirjam hing, versehen mit einem herrlichen Text. Ich habe ihr mein Herz geöffnet und mich als Schwester im Geist angeboten.
Melanie Kulmer, Religionspädagogin, schreibt dazu:
„Als Schwester des Aaron wird Mirjam in den engsten Kreis rund um Mose gestellt, von dessen Gestalt sie aber mehr in den Hintergrund gedrängt wird. So wird später das „Mirjamlied“ um viele Verse erweitert, Mose in den Mund gelegt. Und auch der Streit zwischen Mirjam, Aaron und Mose (Num12) zeigt, wie (nachträglich) die Rolle des Mose ausgeweitet wird, und eine Frau, die es wagt, kühn ihre Stimme zu erheben, zum Schweigen gebracht wird.
Doch das Volk steht hinter Mirjam, will nicht auf sie verzichten und wartet, bis ihre „Strafe“ vorüber ist (Num12,15b), um gemeinsam weiterziehen zu können.
Auch wird Mirjam in Micha 6,4 als eigenständige Führungspersönlichkeit erwähnt und im großen Stammbaum (1Chr.5,29) als einzige Frau aufgelistet.
Weiter schreibt Melanie Kulmer: „Bewegt und dankbar erhebt die Prophetin Mirjam ihre Stimme und stärkt damit die Ängstlichen und Geschundenen. Sie selbst weiß, wie sich Unterdrückung und Abhängigkeit anfühlen, denn diese haben sie und ihr Volk in Ägypten erfahren. Doch im Vertrauen auf Gottes Zusage sind sie, trotz scheinbar auswegloser Situation aufgebrochen und haben Schritte ins Ungewisse gewagt. Und Gott hat sie heil durch das bedrohlicher Schilfmeer geführt.
Mirjam drückt ihre Freude darüber mit ihrem ganzen Dasein aus: Singend und tanzend, auf die Pauke schlagend findet sie ihren neuen Rhythmus und ihre Leidenschaft bewegt und begeistert andere. Mirjam weiß: Militärische Gewalt und Kriegsstrategien gehen unter, denn die wahre Kraft ihres Volkes liegt im Vertrauen auf Jahwe, dem „ich bin da- Gott“
„Ich-bin-da“
Diesen „ich-bin-da-Gott“ orte ich mehr und mehr in mir. Als Geistin, die mich inspiriert, die mich ermutigt, dafür einzustehen, wie ich die Dinge sehe, die mich hinter die Fassaden schauen lässt und die es mich aushalten lässt, wenn ich mein Umfeld irritiere, weil ich mich wieder einmal nicht so verhalte, wie es von mir erwartet wird.
Diese Geistin ist auch durchaus identisch mit der Clownin in mir, wenn sie mich lehrt, mich nicht zu tierisch ernst und wichtig zu nehmen, und über mich lachen zu können, wenn mir mein Ego wieder einmal einen unnötigen Kommentar souffliert hat. Einfach lustvoll zu scheitern. Dann bin ich auch für mein Gegenüber toleranter.
Die Clownin in mir rät
zu mehr Leichtigkeit und
empfiehlt, sich im
lustvollen
Scheitern zu üben.
– Sissy Sonnleitner
Aus den wunderbaren Illustrationen von Anna Weninger wähle ich heute die Artischocke. Blatt für Blatt wird abgebrochen, bis das weiche, zarte Herz freigelegt ist. So können wir nach und nach eine nach der anderen Rolle ablegen, oder zurechtschnipseln, bis sie zu unserer Herzensqualität passt.
Mirjam – die Seherin
Anselm Grün und Linda Jarosch beschreiben Mirjam so: „In ihrer Geschichte geht es nicht nur um die rationale Ebene. Mirjam ist die Seherin, die nicht nur mit dem Auge sieht, was um sie herum vorgeht, sondern sie verbindet dieses Sehen mit Herz, Bauch und Hirn. Sie sieht nicht nur Fakten, sondern, sie setzt ihr Gefühl dazu und spürt, was diese Fakten in ihr auslösen. Und so weitet sich ihr Blick für das, was tiefer liegt und die Menschen wirklich bewegt. Das ist die Gabe der Seherin. Das ist aber auch der Punkt, an dem frau leicht abgewehrt wird und unverstanden bleibt. Bis sie eine Gemeinsamkeit findet, eine Gemeinschaft, die etwas Größeres bewirkt und in der die Prophetin andere mitreißen kann.“
Ingeborg Bachmann und Mirjam
Woher hast du dein dunkles Haar genommen,
den süßen Namen mit dem Mandelton?
Nicht weil du jung bist, glänzt du so von Morgen –
dein Land ist Morgen, tausend Jahre schon.
Versprich uns Jericho, weck auf den Psalter,
die Jordanquelle gib aus deiner Hand
und lass die Mörder überrascht versteinen
und einen Augenblick dein zweites Land!
An jede Steinbrust rühr und tu das Wunder,
dass auch den Stein die Träne überrinnt.
Und lass dich taufen mit dem heißen Wasser.
Bleib uns nur fremd, bis wir uns fremder sind.
Oft wird ein Schnee in deine Wiege fallen.
Unter den Kufen wird ein Eiston sein.
Doch wenn du tief schläfst, ist die Welt bezwungen.
Das rote Meer zieht seine Wasser ein!
Ingeborg Bachmann
Ist ja nix zum einmal Drüberlesen, die große Kärntner Lyrikerin, Ingeborg Bachmann. Die dritte Strophe ist’s, die mich erschaudern lässt. Für viele verhärtete Herzen wünscht man sich das Wunder. Manchmal auch für das Eigene, und wie gut, wenn dann die Träne drüber rinnen kann. Und die Taufe mit dem heißen Wasser, damit wir erwachen und ein stückweit wieder erkennen, wer wir nicht sind
….mit Mirjam aus der Reihe tanzen (Melanie Kulmer
In Mirjam begegnet mir eine bemerkenswerte Lebenshaltung:
Gewaltfrei, aber kraftvoll, mit Leib und Seele Bedrohungen überwinden und Schritte ins Neue wagen, im heilvollen Bewusstsein, dass Gott befreiend mitgeht und unerwartet Grosses in meinem Leben vollbringen kann.
Wie sie will ich Gewalt und Enge nicht müssig ertragen, sondern ausbrechen aus zerstörerischen Verhältnissen,
- will Gemeinschaft suchen, mich bewegen lassen, und leidenschaftlich das Leben feiern,
- will auf die Pauke schlagen und (auch mal aus der Reihe) tanzen.
Das ist es, was wir jetzt brauchen und in vielen Frauen steckt eine Mirjam. Was wäre, wenn wir, wie Mirjam, unsere Freude über alles, was uns gelungen ist, mit unserem ganzen Dasein ausdrücken würden? Egal, ob aus eigener Kraft, aus dem Wunder heraus, das jeder Mensch ist, oder mit Gottes Hilfe. Müssten wir nicht jeden Tag auf die Pauke hauen und tanzend unser Leben feiern?
Schwing dich
aus allem heraus,
was dich beengt.
Bettina von Arnem
Steh zu dir, tanz aus der Reihe und scheitere lustvoll
Kann schon sein, dass frau beim „aus der Reihe tanzen“ manchmal eine Grenze übersieht.
Bleiben wir offen und tolerant füreinander, vermutlich muss sie das Gatter öffnen, den Raum weiten und die Grenzen neu ausloten.
Hören wir auf, uns gegenseitig das Wasser abzugraben, wenn frau nicht in die Schablone passt, oder wenn sie einen Aspekt leben kann, den wir auch gerne leben würden. Nehmen wir einander eher als Seilschaft wahr, wo es auf jede ankommt. Wo jede ihre ganz individuelle Größe einbringen und leben kann.
Ich bin richtig – gilt für jede Frau,
Herzlichst
Sissy
LITERATUR
Königin und wilde Frau, Linda Jarosch und Anselm Grün